Das Modekarusell dreht sich immer schneller

Ein Modehype jagt den nächsten. Wir kaufen immer mehr Klamotten, die wir nicht tragen und nicht brauchen. Das stresst die Menschen und schädigt die Umwelt.

Früher lösten sich Modetrends alle zehn Jahre ab, bevor es Zeit wurde für etwas Neues. Heute jagt ein Modehype den nächsten. In den 50er Jahren gab es Petticoats und Stöckelschuhe, in den 60ern Miniröcke und Schlaghosen, in den 80ern Leggings. Das Modekarussell, von wenigen Großkonzernen wie Zara (Inditex), H&M oder Louis Vuitton (LVMH) angetrieben, beschleunigt sich rasant.

Wir kaufen im Schnitt doppelt so viele Kleidungsstücke pro Jahr, tragen diese allerdings nur noch halb so lang wie noch vor 15 Jahren. Modeshopping artet in Stress aus, weil viele Konsumenten wollen up to date sein wollen. Fast Fashion ist ein treffender Name für diese irre Geldmaschine, denn ein zentrales Element dieser Fehlentwicklung ist die Beschleunigung. „War die Lebensdauer eines Modetrends vor der Digitalisierung noch ein Jahrzehnt, so ist sie jetzt nur noch eine Saison“, schreibt Carl Tillessen in seinem erhellenden Sachbuch „Konsum – Warum wir kaufen, was wir nicht brauchen.“ Die Trenddauer hat sich um 95 Prozent verkürzt, von zehn Jahren auf ein halbes Jahr, dann muss ein neuer Look her.

War die Lebensdauer eines Modetrends vor der Digitalisierung noch ein Jahrzehnt, so ist sie jetzt nur noch eine Saison.

Profitieren tun davon nur wenige: Forbes zählt LVMH-Chef Bernard Arnault mit einem Privatvermögen von 189 Mrd Dollar zum aktuell reichsten Mann der Welt. Wenige Konzerne bestimmen darüber, was wir anziehen Als es noch Schneider gab, die von ihrer Arbeit leben konnten, und die meisten Frauen daheim schneiderten, konnte sich eine breite Kreativität entfalten. In der fast fashion Maschinerie sind davon nur noch ein paar Dutzend „Kreative“ übriggeblieben. Sie entscheiden auch darüber, aus welchen Materialien die Klamotten hergestellt werden. So enthalten mittlerweile zwei Drittel unserer Kleider Polyester. Die Kunstfaser setzt dreimal soviel CO2 frei wie Baumwolle und vermüllt Flüsse und Meere mit Millionen Tonnen an Mikroplastik. Der Konsument hat auf den Einsatz von Polyester ebenso wenig Einfluss wie auf Modefarben oder die Arbeitsbedingungen der Näherinnen. Die Herren des Verfahrens sind Milliardäre wie Arnault oder Amancio Ortega (Zara), den vor allem die kurzen Umschlagzeiten bei den neuesten Kollektionen reich gemacht haben. Dass Milliarden Textilien jedes Jahr weggeworfen werden und echtes Recycling der Kunstfasern kaum stattfindet, muss sie nicht kümmern, in die Nachhaltigkeitsindices schaffen sie es ohnehin.

Die Digitalisierung ist der technische Booster für diese Dynamik. Vom Schnitt bis zum fertigen Textil werden alle Produktionsschritte beschleunigt, über Instagram werden die Trendklamotten lanciert, Die kulturell-psychologische Dynamik kommt aus dem Konsum als Lebensinhalt: Wirtschaft und Gesellschaft brechen zusammen, wenn nicht immer mehr gekauft wird, und das Lebensglück hängt von der Menge an käuflichen Gütern ab. Shopping ist Selbstbelohnung und Selbstverwirklichung. In den 90er Jahren flog die Modewelt zweimal im Jahr zu den Messen nach Paris, Mailand oder London, wo die Trends ausgerufen wurden. Zeitschriften wie die Vogue, deren Chefredakteurin Anna Wintour (Der Teufel trägt Prada) zu den einflussreichsten Frauen der Branche zählt(e), bestimmten über den Erfolg von Marken und Designern. Im Printzeitalter dauerte es noch mehrere Jahre, bis sich ein neuer Stil weltweit etabliert hatte. Dafür konnte er sich dann aber durchschnittlich zehn Jahre lang halten. Die Vorabpräsentationen der kommenden Saison fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, kein Smartphone filmte heimlich mit, und alles war bis zum Saisonstart streng geheim.

A long line of female models on the catwalk. Original public domain image from Wikimedia Commons

Heute, im Zeitalter von Instagram, streamen die Marken ihre Fashion-Shows selbst ins Netz. Das Publikum darf dann die vorgelegten Fashion Modelle bewerten und der CEO bestimmt am Ende, was produziert wird. Weil der neue Look, anders als früher, schon kurz nach den Livestreams feststeht, können sich Fast-Fashion-Unternehmen wie Zara dranhängen und ihn massenkompatibel unters Volk bringen. Angeheuerte Mode-Influencerinnen sorgen für den Hype und dessen rasante Verbreitung. H&M, Zara & Co sind einerseits Profiteure des Modekarussells, denn je schneller die Leute ihre Klamotten als altmodisch aussortieren, desto mehr von der neusten Collection verkaufen sie. Als Beschleuniger des Karussells sind sie aber auch ihre eigenen Zuchtmeister: Ein Schritt zu langsam und schon greift die Konkurrenz den Umsatz ab. „Herrenlose Sklaverei“ nannte Max Weber diese Marktmechanismen, weil sie jedem lediglich die zweifelhafte „Freiheit“ lassen, sich ihnen widerstandslos anzupassen.

Für den Konsumenten gilt das genauso. Mode bezeichnet den „gerade vorherrschenden, bevorzugten Geschmack“, sie drückt eine Zugehörigkeit aus und entfaltet eine starke, wenn auch oft nur temporäre Konformität. Weder der Einzelhandel und erst recht nicht die Durchschnittsverbraucher können sich diesem, mit vielen Marketing-Milliarden erzeugten Druck entziehen. Das Modediktat der Großkonzerne ist übermächtig: Deshalb kann das heutige Modekarussell auch kein Ort des individuellen Lebensgefühls sein, das in der Werbung besungen wird. Dass diese Illusion geglaubt wird, ist die eigentlich große Leistung des Marketings. Es sagt uns: Du bist „in“. 99 Prozent kaufen Konfektionsware und halten sich dennoch für Individualisten. Wer heute in Bundfaltenhosen der 90er herumgeht, ist hoffnungslos antiquiert und wird auch so sozial abgestempelt: Du bist „out“. Das persönliche Lebensgefühl ist alles andere als frei, es muss sich modisch permanent anpassen, allein schon, weil frühere Modestile schneller denn je verschwinden und gar nicht mehr erhältlich sind. Nur die wenigsten dürften sich einen Maßschneider leisten können. Und so kommt es, dass der Großteil dessen, was getragen wird, den Geschmacks- und Preisvorgaben der Textilriesen folgt. Nur in diesen engen Grenzen läßt sich persönlicher Ausdruck und Geschmack realisieren.

Die Influencer erzeugen einen nie gekannten Konformitätsdruck, ganz im Interesse ihrer Auftraggeber. Wenn sich etwa Pia Wurtzbach ihren 12 Millionen Instagram Followern mit den neuesten Chelsea Boots von Vagabond zeigt, schnellt deren Absatz in die Höhe. Ihr Sauberimage als WWF und Save The Children Botschafterin färbt auf die Modeindustrie ab. Zudem dirigieren Likes und Shitstorms die User im Sinne des Mainstreams. Jeder glaubt, dass der eigene Look vor einem persönlichen Publikum (Follower) bestehen muss, das man ironischerweise nicht mal richtig persönlich kennt. Es hebt oder senkt den Daumen. Mit der Größe des Publikums wächst auch der Konformitätsdruck. Perfekter kann Anpassung nicht organisiert werden. „Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit“, erkannte schon der dänische Philosoph Søren Kierkegaard vor fast 200 Jahren. Wohlfühlen kann sich da keiner. Der Gruppendruck macht Stress, das Karussell dreht sich unbarmherzig.

Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.

Søren Kierkegaard

Social Media ist dabei ein wichtiger Beschleunigungsfaktor und trägt viel zur Billig- und Wegwerfunkultur der Generation Primak bei. Immer mit demselben Outfit auf Events zu erscheinen, geht nicht. Ein neuer Look muss her und bei Primak ist er eben billig und muss nur einmal halten. „In den sozialen Netzwerken ist die Lebensdauer eines Outfits nur noch ein Tag. So wird inzwischen jedes fünfte Kleidungsstück nur noch einmal oder maximal zweimal getragen,“ hat Tillessen beobachtet. Darunter leidet sogar die Recycling-Branche: „Die Textildiscounter und Fast-Fashion-Anbieter bringen in immer schnelleren Zyklen Mode in zunehmend schlechterer Qualität auf den Markt, die immer schneller entsorgt werden muss.“ Je mehr die Textilkonzerne über Nachhaltigkeit reden, desto größer wird der Berg an Altkleidern, die sich weder für den Second-Hand-Bereich noch für die Putzlappenherstellung oder die Faserrückgewinnung eignen. Nachhaltigkeit scheint sich zum Stichwort für (Selbst)täuschung zu entwickeln. Oder wie passt der fast fashion Trend zu den blumigen Nachhaltigkeitsprosa in Börse online: “Die kaufkräftigen Millennials haben einen gänzlich anderen Luxusbegriff als die Generationen vor ihnen. Grün statt Bling-Bling“. Die Zahlen sagen das genaue Gegenteil.  

Wie lässt sich das Modekarussell stoppen, das mehr Unzufriedenheit schafft als Glücksmomente, das Näherinnen ausbeutet, das die Umwelt verschmutzt und uns im Grunde auch die kulturelle Selbstbestimmung darüber entzogen hat, wie wir uns kleiden? Man kann ganz aussteigen und wie ein Minimalist immer dasselbe Hemd anziehen. Aber wer will das schon? Wir sind soziale Wesen und leiden, wenn wir Außenseiter sind.

Das bedeutet natürlich nicht, dass wir alles mitmachen müssen. Klar, wer sich etwa heute mit einer guten, alten haltbaren Jeans „selbstverwirklichen“ will, kann das gar nicht mehr, weil nur noch zerschlissene produziert werden. Modestile verschwinden über Nacht. Jeder muss aussortieren, und das immer schneller. Dennoch kann sich jeder wie beim slow food für den eigenen Konsum Zeit nehmen, Qualität kaufen. Die Großkonzerne und die Hypes meiden, soweit das möglich ist. Die Billigmarken der Fast Fashion sind die schlimmsten.Dem Dauerfeuer des Marketings entzieht man sich am besten durch Abschalten und durch Treue zum eigenen Stil. Wenn Bauchfrei Mode wird, muss ich das nicht tragen, wenn es mir nicht steht. Wichtig ist auch hier: Weniger ist mehr. Wie bei Biolebensmittel gibt es auch nachhaltigere Modelabel und Textilproduzenten, die es nicht so schlimm treiben.

Wir werden allerdings erst dann anders konsumieren, wenn die Gesellschaft den Konsum anders bewertet, wenn sie den Selbststeigerungsimperativ zurückweist. Denn mit dem Zwang, sich täglich neu erfinden zu müssen, sind immer neue Konsumausgaben verbunden. Da aber die Konzerne die Trends schaffen und die Konsumenten hochgradig steuern, wird sich wenig ändern, wenn sie die Macht behalten.

Was also tun? Die Zerschlagung der Textilkonzerne, die das Modekarussell organisieren, wäre ein wichtiger Schritt. Statt ein paar Dutzend Star-Designer gäbe es auf einmal Tausende kreative Schneider in mittelständischen Firmen. Statt wenige Mega-Events, von denen die Modehypes ausgehen, würde sich die Modewelt radikal regionalisieren. Influencerinnen und Celebrities hätten kaum Einfluss, es gäbe kein ausgefeiltes Lieferkettensystem, der Tross der Textilindustrie würde nicht mehr geschlossen vom Billig- zum Billigstlohnland weiterziehen und die Näherinnen ausbeuten. Um die Konzerne zu zerschlagen, müssten die USA mitspielen und die EU Kommission. Doch begleiten die weitere, tiefere Konzentration der Branche wohlwollend. Aber man könnte es den Konzernen schon schwerer machen, auch mit nationaler Kartell- und Umweltgesetzgebung, wenn man wollte. Für fast fashion steht die Ampel weiterhin auf grün.