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Slow traveling
Weniger bringt mehr
Die Corona Lockdowns raubten uns die Reisefreiheit. Das plötzliche Aus zeigte jedoch auch, dass viele Reisen unnötig sind und die Menschen neu über den Sinn des Reisens nachdenken. Geschäftsreisen etwa kollabierten – und das ist gut so.
65 km/h, mehr nicht!
Langsames Fahren ist der Schlüssel für unsere Verkehrsprobleme. Übermotorisierte Autos verstopfen die Straßen und kosten uns Lebensqualität. Ein Tempolimit von 65 km/h wäre ein Gamechanger.
Die Verkehrswende kann ganz einfach gelöst werden: durch langsameres Fahren. Die positiven Auswirkungen einer maximalen Geschwindigkeit von 65 km/h wären gewaltig.
Vieles an der aktuellen Verkehrswende ist absurd. Der Schwerpunkt liegt auf dem Austausch von Diesel- zu Elektroautos, weil das angeblich CO2 spart. Aber jedes Elektroauto schleppt eine 300 bis 700 kg schwer Batterie mit sich herum. Bei derzeit 48 Millionen Pkw wären das zirka 24 Mio. Tonnen an Batteriegewicht. Ein Tesla X Plaid wiegt 2,5 Tonnen und beschleunigt von 0 auf 100 in sagenhaften 2,5 Sekunden vor allem wegen der leistungsstarken Batterien. Das soll nachhaltig sein? Wäre es nicht viel besser, wir würden den unnötigen Verkehr reduzieren, der durch die Fehlentscheidungen der Raum- und Verkehrsplanung geschaffen wurden? Das ist natürlich nicht von heute auf morgen möglich, aber eine Umstellung auf eine maximale Geschwindigkeit von 65 km/h würden viele positive Effekte haben.
Viele Haushalte haben heute zwei oder sogar mehr Autos, weil es nicht anders geht. Keiner gibt dafür gern Geld aus. Aber die „autogerechte Stadt“ hat dazu geführt, dass wir es müssen, denn oftmals liegt das Shopping Center im Norden, die Gesamtschule im Süden und die attraktiven Wohnquartiere im Westen – ohne Auto wären die Menschen immobil. Und ohne die hohen Fahrgeschwindigkeiten wären viele dieser Raumplanungsfehler gar nicht erst entstanden. Klar, jetzt sind sie da, die Städte sind auto- nicht menschengerecht geplant. Aber daran ändert sich gar nichts, wenn wir nur den Diesel- in einen Elektroantrieb austauschen. Die Strukturschäden bleiben. Im Gegenteil, Elektroautos sind ja noch schneller, beschleunigen sagenhaft. Hier sind 10 Gründe für ein Tempolimit:
- Ein Tempolimit führt generell erst mal dazu, dass auf kurzen Strecken das Fahrradfahren und der Bus attraktiver werden und auf mittleren Strecken die Bahn. Bus und Bahn müssten deshalb nachfragebedingt ausgebaut werden. Heute werden sie besonders auf dem Land zurückgebaut.
- Lkw Transporte würden deutlich langsamer und teurer. Ein Transporter fährt heute von Kiel nach München (890 km) zirka 10 Stunden. Bei 65 km/h Tempolimit wären dies etwa 13 Stunden reine Fahrzeit. Die Spritkosten wären geringer, aber die längere Fahrzeit erhöht die Fahrerkosten, da der Fahrer länger unterwegs ist und zusätzliche Pausenzeiten einhalten muss. Folge: Der Fernverkehr reduziert sich, viele Transporte werden unattraktiv.
- Weil der Zeitaufwand steigt, geht der Fernverkehr zurück, also auch die vielen Leerfahrten. 40 % aller Lkw Fahrten haben keine Ladung.
- Eine geringere Geschwindigkeit bedeutet auch einen geringeren Treibstoffverbrauch. Vor allem über 80 km/h steigt er exponentiell. Angenommen, ein Lkw hätte einen durchschnittlichen Ausstoß von 7,8 kg CO2 pro Kilometer bei 65 km/h, dann würde er im Vergleich zu 80 km/h etwa 13% an CO2-Emissionen einsparen.
- Alle Autos könnten bedeutend schwächer motorisiert werden. Sie wären leichter, würden weniger verschleißen und wären erheblich billiger. Eine tonnenschwere Batterie ist unnötig. Ein Tesla wiegt 2,5 Tonnen, ein BMW X5 zirka 2,3. Unnötiger Ballast, der nur mittransportiert wird, weil wir angeblich so schnell fahren wollen.
- Das Tempolimit bei 65 km/h reduziert die Staus, denn viel Fernverkehr entfällt und im Nahverkehr werden andere Transportmittel attraktiver. Damit werden wir unterm Strich auf manchen Strecken sogar faktisch wieder schneller. Wo kann man angesichts der vollen Strassen denn die theoretischen 200 km/h Höchstgeschwindigkeit eines Porsche ausfahren?
- Die gesamte Verkehrsinfrastruktur für Fahrzeuge würde geschont und bliebe länger erhalten: Derzeit sind die Brücken und Autobahnen teilweise sehr marode, was an der hohen Tonnage, den vielen Fahrten und an der Geschwindigkeit liegt.
- Die Lärmbelästigung in den Städten und Ausfallstraßen wäre geringer, auch auf den Autobahnen.
- Mehr kleinere Autos in den Städten bedeutet, dass wir mehr Platz hätten – für Fußgänger und Fahrräder, aber auch zum Parken. Das könnte die sterbenden Innenstädte beleben.
- Unfälle würden zurückgehen und sie wären auch tendenziell weniger schwer. Vulnerable Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger, Fahrradfahrer und motorisierte Zweiradfahrer wären besser geschützt.
Der Tachinierer will ohnehin nicht rasen, aber ewig durchs Land trudeln, um einen Geschäftstermin wahrnehmen zu können, das schmeckt ihm natürlich auch nicht. Der Nachteil des Tempolimits ist also, dass das Auto auf langen Strecken unattraktiv wird, weil die Fahrt eben länger dauert. Aber wie groß ist dieser Hauptnachteil eigentlich? Die Annahme ist stets, dass wir heute ohne Staus zum Ziel kommen. Immer öfters ist diese Annahme falsch. Das liegt an den Staus, die durch immer mehr Fahrzeuge verursacht werden. Und es werden immer mehr Fahrzeuge, der Trend ist beängstigend. 1990 waren nur zirka 31 Millionen PKW zugelassen, heute sind es 48 Mio. Der Durchschnittdeutsche unternimmt im Jahr nur zirka 7 – 10 Fernfahrten von jeweils zwischen 300 und 500 Kilometern. Die Gesamtfahrstrecke für Fernfahrten pro Jahr liegt also zwischen 2.100 und 5.000 Kilometern bei einer durchschnittlichen Fahrleistung pro PKW von etwa 13.200 Kilometern. Die Zahlen zeigen, dass der Großteil der Fahrten kurze Strecken sind. Dafür sind die Autos übermotorisiert. Insbesondere der SUV ist immer noch zu sehr Statusobjekt. Das muss nicht sein.
Um den Hauptnachteil auszugleichen, müsste die Bahn somit viel attraktiver werden. Vielleicht müsste man das Ziel 65 schrittweise einführen, aber in kurzen Zeitabständen. Die Bahn müsste sich für Autotransporte mehr einfallen lassen. Denn eine wichtige Fernreise ist der Urlaub. Die Sorge, nicht mit dem eigenen pkw in den Urlaub fahren zu können, würde so gemildert. Klar, für Schnellfahrer ist das tempolimit inakzeptabel. Aber er kann sich das Schnellfahren ja auch bei dem gewaltigen Verkehrsaufkommen abgewöhnen. Also steigen wir doch selbst auf 65 kmh um. Es würde schnell klar werden, dass langsames Fahren uns Freiheit zurückbringt.
Weniger bringt mehr
Vor den Lockdowns gaben Firmen weltweit 1,7 Billionen Dollar pro Jahr für Geschäftsreisen aus, während der Lockdowns nur noch ein Bruchteil davon. Airlines und Hotelketten bekamen Probleme. Der Harvard-Ökonomen Ricardo Hausmann fragte in einer Studie, was passieren würde, wenn alle Firmen auf der Welt von heute auf morgen auf Geschäftsreisen verzichten. Weil sie während der Pandemie gelernt haben, dass es auch ohne geht. Laut Hausmann würden bis zu 17 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung verloren gehen. Das ist sicherlich etwas hoch gegriffen, zeigt aber, dass sehr viel Geld im Spiel ist für eine Leistung, die zu einem erheblichen Teil niemand braucht. Umgerechnet auf Deutschland könnte das Bruttoinlandsprodukt schätzungsweise 200 Mrd Euro zurückgehen, wenn alle deutschen Manager sofort aufhören würden zu reisen – das sind zirka 4,5 % des BIP.
Inzwischen nimmt der Geschäftsreiseverkehr wieder zu. Man nimmt alte Gewohnheiten auf. Der persönliche Kontakt ist natürlich auch nicht vollständig durch Zoom oder WebEx Videokonferenzen zu kompensieren und sollte das auch nicht wirklich. Aber es bleibt doch die Erfahrung, dass Business Reisen überwiegend stressig, zeitraubend, teuer und überflüssig sind. Ökonomisch bedeutet das: 2 – 5 % des BIPs werden als Wohlstand gemessen, obwohl sie unnötig, unwirtschaftlich und glücksmindernd sind. Das ist wichtig, denn wenn es nach den Ideologen der Konsumindustrie geht, dann gehen wir zugrunde, wenn wir unser Konsumniveau nicht halten. Die Erfahrung allein mit den Businessreisen lehrt aber: Wir können darauf weitgehend verzichten und niemand vermisst etwas. Das BIP wäre zwar kleiner, wir aber weniger gestresst und die Umwelt weniger geschädigt. Freilich sind Jobs weggefallen, nämlich jene der Beschäftigten, die von dem Businessreiseverkehr gelebt haben (bei Airlines und Hotels). Deren Jobs dürften nur teilweise von den ITlern „ersetzt“ worden sein, die vom rasant gestiegenen Videokonferenz-Business leben. Es gibt also ein gewisses Job-Problem, wenn natur- und glücksschädigende Geschäftsbereiche wegfallen.
Aber es dürfte wohl kaum jemanden geben, der ernsthaft überflüssige und umweltschädliche Wirtschaftsleistungen erhalten will, nur weil sie Einkommen generieren. Corona hat noch andere derartige überflüssige Bereiche aufgedeckt, etwa im Gesundheitsbereich. In Kliniken stellen die Versorgungsforscher fest, dass bis zu 15 % weniger Leistungen, sprich OPs, Behandlungen etc., erbracht wurden und niemand fehlen sie, kein Patient klagt. Sie waren überflüssig, ernährten nur den Gesundheitsapparat und machten die Pharmaindustrie reich. Der große Bereich der Überversorgung ist in der Medizin gefährlich: Leute werden operiert, nur weil sie Geld bringen. Slow Medicine haben wir also genauso nötig wie slow traveling.