Weniger bringt mehr

Die Corona Lockdowns raubten uns die Reisefreiheit. Das plötzliche Aus zeigte jedoch auch, dass viele Reisen unnötig sind und die Menschen neu über den Sinn des Reisens nachdenken. Geschäftsreisen etwa kollabierten – und das ist gut so.

Vor den Lockdowns gaben Firmen weltweit 1,7 Billionen Dollar pro Jahr für Geschäftsreisen aus, während der Lockdowns nur noch ein Bruchteil davon. Airlines und Hotelketten bekamen Probleme. Der Harvard-Ökonomen Ricardo Hausmann fragte in einer Studie, was passieren würde, wenn alle Firmen auf der Welt von heute auf morgen auf Geschäftsreisen verzichten. Weil sie während der Pandemie gelernt haben, dass es auch ohne geht. Laut Hausmann würden bis zu 17 Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung verloren gehen. Das ist sicherlich etwas hoch gegriffen, zeigt aber, dass sehr viel Geld im Spiel ist für eine Leistung, die zu einem erheblichen Teil niemand braucht. Umgerechnet auf Deutschland könnte das Bruttoinlandsprodukt schätzungsweise 200 Mrd Euro zurückgehen, wenn alle deutschen Manager sofort aufhören würden zu reisen – das sind zirka 4,5 % des BIP.

Inzwischen nimmt der Geschäftsreiseverkehr wieder zu. Man nimmt alte Gewohnheiten auf. Der persönliche Kontakt ist natürlich auch nicht vollständig durch Zoom oder WebEx Videokonferenzen zu kompensieren und sollte das auch nicht wirklich. Aber es bleibt doch die Erfahrung, dass Business Reisen überwiegend stressig, zeitraubend, teuer und überflüssig sind. Ökonomisch bedeutet das: 2 – 5 % des BIPs werden als Wohlstand gemessen, obwohl sie unnötig, unwirtschaftlich und glücksmindernd sind. Das ist wichtig, denn wenn es nach den Ideologen der Konsumindustrie geht, dann gehen wir zugrunde, wenn wir unser Konsumniveau nicht halten. Die Erfahrung allein mit den Businessreisen lehrt aber: Wir können darauf weitgehend verzichten und niemand vermisst etwas. Das BIP wäre zwar kleiner, wir aber weniger gestresst und die Umwelt weniger geschädigt. Freilich sind Jobs weggefallen, nämlich jene der Beschäftigten, die von dem Businessreiseverkehr gelebt haben (bei Airlines und Hotels). Deren Jobs dürften nur teilweise von den ITlern „ersetzt“ worden sein, die vom rasant gestiegenen Videokonferenz-Business leben. Es gibt also ein gewisses Job-Problem, wenn natur- und glücksschädigende Geschäftsbereiche wegfallen.


Aber es dürfte wohl kaum jemanden geben, der ernsthaft überflüssige und umweltschädliche Wirtschaftsleistungen erhalten will, nur weil sie Einkommen generieren. Corona hat noch andere derartige überflüssige Bereiche aufgedeckt, etwa im Gesundheitsbereich. In Kliniken stellen die Versorgungsforscher fest, dass bis zu 15 % weniger Leistungen, sprich OPs, Behandlungen etc., erbracht wurden und niemand fehlen sie, kein Patient klagt. Sie waren überflüssig, ernährten nur den Gesundheitsapparat und machten die Pharmaindustrie reich. Der große Bereich der Überversorgung ist in der Medizin gefährlich: Leute werden operiert, nur weil sie Geld bringen. Slow Medicine haben wir also genauso nötig wie slow traveling.

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