65 km/h, mehr nicht!

Langsames Fahren ist der Schlüssel für unsere Verkehrsprobleme. Übermotorisierte Autos verstopfen die Straßen und kosten uns Lebensqualität. Ein Tempolimit von 65 km/h wäre ein Gamechanger.

Vieles an der aktuellen Verkehrswende ist absurd, vor allem, dass Verkehr gar nicht vermieden werden soll, obwohl wir unter der Zunahme stöhnen. Bis 2035 sollen laut Verkehrsplanung zirka 55 Millionen Pkw (derzeit 49 Mio) durch die Straßen rollen. Die Zahl der LKW soll von 5 auf 7,5 Millionen zunehmen. Im Eiltempo baut die Ampel jetzt 988 Kilometer Fernstraßen aus. Es geht so weiter wie bisher: immer mehr Verkehr, immer dickere Autos und größere Lkws. Die Politik will vor allem Dieselautos durch Elektroautos ersetzen – die sind aber größer, schwerer, übermotorisierter und schneller und ob sie mehr CO2 sparen, ist fraglich.

Mit der Idee der Entschleunigung hat diese angeblich „grüne“ Politik nichts zu tun. 55 Millionen Pkw werden unsere Lebensqualität weiter verschlechtern. Im Schnitt verbringen wir, so die ADAC Staubilanz, zirka 500.000 Stunden allein im Autobahnstau. Anfahren, bremsen, anfahren – verschwendete Lebenszeit. Neue Fernstraßen zerstören Wälder, Moore und Wiesen, schaden dem Klima, belasten das Grundwasser und bringen Lärm und Abgase. Und vor allem erhöhen sie das Verkehrsaufkommen.

Die Elektroautos sind aus der Perspektive der Entschleunigung ein Rückschritt. Ein Tesla X Plaid wiegt 2,5 Tonnen und beschleunigt von 0 auf 100 in sagenhaften 2,5 Sekunden. Was soll daran nachhaltig sein?

Ein VW Golf der 1. Generation wog noch 800 Kilogramm, der Golf der 8. Generation wiegt 1.400 kg. Und der elektrische ID.3 kommt auf 1825 kg – das sind 400 kg mehr. Die müssen bewegt werden, verbrauchen mehr Energie. Alles wird zudem teurer, während der Nutzen abnimmt.

1991 gab es nur 31 Mio. Pkw, bald wird es 55 Mio. geben. Was bringen uns diese zusätzlichen 24 Millionen Pkw, außer zersiedelte Landschaften und verstopfte Städte? Wäre es nicht viel besser, wir würden den unnötigen Verkehr reduzieren? Es ist doch nicht so, dass wir uns alle gern durch den Berufsverkehr quälen oder in enge Parklücken quetschen oder gern gegen die Müdigkeit bei Fernfahrten ankämpfen. Viele Menschen würden lieber weniger oft und weniger weit fahren, doch leider werden sie gezwungen, genau das zu tun. Die Pendelstrecken werden insgesamt immer länger. Zwischen dem Wohnsitz und dem Arbeitsort betrug die durchschnittliche tägliche Entfernung im Jahr 2000 noch 8,7 Kilometer, doch bis 2019 hat sie sich auf 16,9 Kilometer verdoppelt. Und was plant die Ampel? Sie baut noch mehr Autobahnen. Die Haupttreiber von mehr Verkehr werden gar nicht angegangen, also Raumplanung und verfehlte „Globalisierung“.

Barcelona baute Straßenkreuzungen zu Parks und Plätzen, sogenannten „Superilles“ um. Die Bürger erobern sich den öffentlichen Raum zurück

Noch mehr Straßen verschärfen das Verkehrsproblem, denn sie produzieren mehr Verkehr. Weniger Straßen und geringeres Tempo entschärfen es. Einige Städte haben gezeigt, dass es auch anders geht, mit weniger Verkehr und dass sich damit die Lebensqualität verbessert. Kopenhagen, Barcelona und Paris zeigen, dass der Rückbau von Straßen ein richtiger Weg sein kann. Paris sperrte die Stadtautobahn am Seineufer und machte sie zur Flaniermeile. Barcelona baute Straßenkreuzungen zu Parks und Plätzen um, sogenannten „Superilles“. Dort erobern die Bürger den öffentlichen Raum zurück. Restaurants und Kleingewerbe profitieren, auch die Kinder, die nicht in ständiger Angst vor dem Straßenverkehr leben müssen. Im Berliner Bezirk Friedrichshain haben nur 20 % ein Auto, müssen aber den Durchgangsverkehr ertragen, der den Städten das Leben nimmt. Kopenhagen hat den Autoverkehr zurück gedrängt, nicht um primär CO2 zu reduzieren oder Autofahrer zu ärgern, sondern weil die neue Infrastruktur das Fahrrad, den Bus und das Zufußgehen zur schnellsten, praktischsten und direktesten Fortbewegungsart gemacht hat. Nur noch 14 % nutzen das Auto. Freiwillig. Ohne umfangreiche und kluge Raumplanung geht das natürlich nicht. Der braucht natürlich auch Zeit. Würden wir heute alle auf Bus und Bahn umsteigen, hätten wir den totalen Verkehrskollaps.

Ein Großteil der Fahrten unternehmen wir zwangsweise, weil wir keine andere Wahl haben. Der Arbeitsort ist weit entfernt, viele Güter kommen von weit her usw. Schuld haben die Fehlentscheidungen der Raum- und Verkehrsplanung und eine Globalisierung, die überwiegend den Konzernen dient. An dieser Fehlplanung ändert übrigens der Umstieg auf Elektroantrieb nichts. Laut einer Studie von „Check24“ legten 2021 Elektroautos mit 12.127 Kilometern fast 2000 Kilometer mehr zurück als Verbrenner. Ein anderer Motor verändert an der Fehlplanung nichts.

In Kopenhagen und Barcelona ist der Stadtverkehr stark verlangsamt. Eine alte Zen-Weisheit sagt: „Wenn du es eilig hast, gehe langsam“. Das ist auch beim Megaverkehr ein Schlüssel zum Erfolg. Warum müssen wir überhaupt so viele Kilometer zurücklegen? Wieso fahren wir Autos mit einer gigantischen Motorisierung?

Der durchschnittliche Kompaktwagen fährt im Schnitt 200 km schnell und hat laut Statista eine durchschnittliche Motorleistung von 115 Kilowatt (157 PS). Das sind 25 % mehr PS als noch 2005, die dem Autofahrer nichts an Schnelligkeit oder Zeitersparnis gebracht haben. Die Geschwindigkeitsillusion ist der große Irrtum der Autofahrer. Sie spannen sich 157 Pferde vor die Karosserie, um ein paar Kilometer zur Arbeit zu fahren oder Brötchen zu holen. Unsere Autos sind übermotorisiert. Für den Großteil unserer Mobilität benötigen wir höchsten einen Bruchteil. Wir sind hauptsächlich auf kurzen Strecken unterwegs, meist auf Strassen mit Tempolimit (50 bzw 70), lediglich acht Fahrten pro Jahr haben eine Entfernung von über 350 Kilometern. Und dafür kaufen wir PS starke Autos mit 200 km/h auf dem Tacho? Das ist, wie wenn wir ein Schloss besitzen, aber nur ein Zimmer bewohnen. Die Geschwindigkeitsillusion bringt uns dazu, unheimlich viel Geld für unheimlich viele PS auszugeben, die wir so gut wie nie nutzen.

Die heutigen Autos sind zudem überdimensioniert. Die Fahrzeuge werden immer größer, höher, breiter und schwerer. Der aktuelle VW Golf ist knapp einen halben Meter länger und 20 Zentimeter breiter als sein Pendant aus den 70er Jahren. Obwohl wir den Großteil unserer Strecken im lokalen Umfeld mit Geschwindigkeiten zwischen 30 und 80 km/h zurücklegen, sind unsere Fahrzeuge motorisiert, als würden wir täglich mit 200 Sachen unterwegs sein. Ein trauriger Höhepunkt dieser Entwicklung sind die SUV-Geländewagen, die mittlerweile 37 Prozent aller Pkw ausmachen. Auch hier zeigt sich, dass Elektroautos diesen Trend verstärken:

Der Mercedes EQS hat eine Länge von 5,13 Metern und liegt mit fast 3,5 Tonnen Gewicht knapp unter der Grenze, für die man einen Lkw-Führerschein benötigt. Die „grüne“ Ampel bezuschusst diesen „Elektro-Panzer“ mit 4.500 Euro und privilegiert ihn als Dienstwagen.

Ein VW Golf der 1. Generation wog noch 800 Kilogramm, der Golf der 8. Generation wiegt 1.400 kg. Und der elektrische ID.3 kommt auf 1825 kg – das sind 400 kg mehr. Die müssen bewegt werden, verbrauchen mehr Energie.

Manche Autofans werden behaupten, dass man ihnen die Freiheit nehmen will. Aber die Wahrheit ist, dass es die „freie Fahrt“ längst nicht mehr gibt. Bei 49 Millionen Pkw auf den Straßen gibt es kaum noch Platz, um Geschwindigkeiten von 200 km/h zu erreichen. Die meisten Menschen fahren 90 Prozent ihrer Strecken im städtischen Umfeld. Wer bringt sein Kind mit Tempo 200 zum Kindergarten? Mit einem Wort:

Niemand verliert seine Freiheit durch Tempobeschränkungen oder Leistungsbegrenzungen, da diese Freiheit angesichts des Megaverkehrs kaum noch existiert. Die Straßen werden immer mehr, die Fahrwege länger, die Autos immer größer, schneller und PS-stärker. Doch am Ende kommen wir immer schlechter vorwärts und Mobilität macht längst keinen Spaß mehr.

Wir müssen abrüsten. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist das Tempolimit. Ohne die hohen Fahrgeschwindigkeiten, besser: die Geschwindigkeitsillusion, wären viele dieser Raumplanungsfehler gar nicht erst entstanden. Ein radikaler Schritt ist ein generelles Tempolimit von 65 km/h. 10 Gründe, warum das ein Gamechanger ist:

  1. Wenn Autos und LKW nicht schneller fahren dürfen, werden auch keine schnelleren Autos mehr nachgefragt. Tempo 65 wäre das Ende der Übermotorisierung. Die Autos werden erheblich leichter und kleiner, dennoch geräumiger und verbrauchen weniger Ressourcen – vom Blech bis zum Reifen. Da die deutsche Autoindustrie ohnehin entmachtet ist (allein Mercedes-Benz baute 140.000 Jobs seit 2019 ab), gibt es für sie auch keine industriepolitischen Argumente mehr. Elektroautos kann jedes Land bauen.
  2. Eine geringere Geschwindigkeit bedeutet auch einen geringeren Treibstoffverbrauch. Vor allem über 80 km/h steigt der Treibstoffverbrauch exponentiell. Tempo 65 km/h benötigt viel weniger Energie und emittiert weniger CO2.
  3. Lkw Transporte würden deutlich langsamer und teurer. Ein Transporter fährt heute von Kiel nach München (890 km) zirka 10 Stunden. Bei 65 km/h Tempolimit wären dies etwa 13 Stunden reine Fahrzeit. Die Spritkosten wären geringer, aber die längere Fahrzeit erhöht die Fahrerkosten, da der Fahrer länger unterwegs ist und zusätzliche Pausenzeiten einhalten muss. Der Fernverkehr reduziert sich, viele Transporte werden unattraktiv. Lokale Unternehmen gewinnen. Dass Tausende Tonnen Zuchtlachs aus Chile zunächst in Thailand verpackt und dann nach Europa geflogen werden, wo sie mit LKW in die Supermärkte kommen, ist nur möglich, weil es u.a. breite Autobahnen gibt, die nachts von übermüdeten Billiglohn-Fahrern frequentiert werden. Das lohnt sich bei Tempo 65 kaum noch. Die Märkte werden sich auf regionalere Produkte konzentrieren, die genauso gut sind, aber nicht um die Welt gekarrt werden müssen.
  4. Weil der Zeitaufwand steigt, geht der Fernverkehr zurück, also auch die vielen Leerfahrten. 40 % aller Lkw Fahrten haben keine Ladung.
  5. Ein Tempolimit bei 65 km/h reduziert die Staus, denn viel Fernverkehr entfällt und im Nahverkehr werden andere Transportmittel attraktiver. Damit werden wir unterm Strich auf manchen Strecken sogar faktisch wieder schneller als heute.
  6. Die gesamte Verkehrsinfrastruktur für Fahrzeuge würde geschont und bliebe länger erhalten: Derzeit sind die Brücken und Autobahnen sehr marode, was an der hohen Tonnage und den vielen Fahrten und an der Geschwindigkeit liegt.
  7. Die Lärmbelästigung in den Städten und Ausfallstraßen wäre geringer, auch auf den Autobahnen.
  8. Kleine statt große Autos in den Städten bedeutet, dass wir mehr Platz hätten – für Fußgänger und Fahrräder, aber auch zum Parken. Das schafft Akzeptanz für die Belebung der Innenstädte. Außerdem wird Autofahren und Mobilität viel billiger.
  9. Unfälle würden zurückgehen und sie wären auch tendenziell weniger schwer bei einem Tempolimit. Vulnerable Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger, Fahrradfahrer und motorisierte Zweiradfahrer wären besser geschützt.
  10. Städte wie Kopenhagen und Barcelona zeigen, dass ein Tempolimit (von 30) in der Stadt generell erst mal dazu führt, dass auf kurzen Strecken das Fahrradfahren und Bus und Bahn attraktiver werden. Werden die Angebote ausgeweitet und attraktiv, erwachen die Städte zu neuem Leben. Einfach nur Autos vertreiben und Radschnellstraßen freigeben, wie zuletzt auf der Berliner Friedrichstrasse, schafft kein städtisches Flair und schürt nur einen unnötigen Kulturkampf gegen das Auto.

Ein generelles Tempolimit von 65 km/h reduziert den Fernverkehr erheblich und macht Bus und Bahn attraktiver. Es beendet die Übermotorisierung unserer Autos. Kleinere Autos sind leichter, geräumiger und verbrauchen weniger Ressourcen und Infrastruktur. Die Städte werden ruhiger und lebenswerter durch weniger und langsamen Verkehr. Diese positiven Effekte treten schnell ein, wenn das Tempolimit erst mal Gesetz ist. Eine einzige Zahl, 65 km/h, in der StVO würde all die oben genannten Effekte anstoßen und bewirken, dass Mobilität wieder Spaß macht. In der Langsamkeit liegt die Kraft.

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