Yoga bedeutet loslassen

Im Yoga geht es um innere Balance, nicht um Leistung. Die sozialen Medien schüren jedoch auch hier einen Wettbewerb um den exotischsten Retreat oder die anspruchsvollsten Armbalancen. Das kann nicht gutgehen. Von Sandra Kitting

In meinen Yogaklassen lassen sich gestresste Menschen leicht erkennen. Meistens sind es jene, die in Shavasana – der Endentspannung – nicht ruhig daliegen können oder die Augen aufgerissen haben. Denen rattern wahrscheinlich gerade irgendwelche To-Do-Listen durch den Kopf und sie sehen die Schlussentspannung als Zeitverschwendung. Immerhin haben sie ihrem Körper gerade etwas Gutes getan, sollte das nicht ausreichen? Schnell ein Yoga Quick-Fix und dann kann es weitergehen.

Aber ist Yoga nur ein Auftanken? Wie beim Autofahren, um dann wieder mit Vollgas auf der Autobahn weiter zu rasen? Yoga ist keine abrupte Vollbremsung, kein schneller Boxenstopp an einer Tankstelle. Es ist eine bewusst langsame Sonntagsfahrt ohne ein konkretes Ziel. Es ist auch kein Abblocken von Stress, sondern vielmehr das Hinterfragen der Ursachen für Stress und was das mit dem eigenen Körper und Geist macht.

Loslassen für nur 5 Minuten – das scheint auf den ersten Blick einfach. Doch in der Schlussentspannung am Ende jeder Yoga-Einheit merke ich oft, wie es den meisten Menschen schwerfällt, nicht nur den Körper vollständig zu entspannen, sondern vor allem das Gedankenkarussell zu verlangsamen.

Mentales loslassen ist das eigentliche Ziel von Yoga: Die inneren Gedanken zur Ruhe bringen und die innere Balance finden.

Yoga bedeutet loslassen. Körperlich wie mental. Sich treiben lassen können auf dem Ozean der eigenen Gedanken, ohne etwas tun zu müssen. Den eigenen Körper zu akzeptieren, wahrzunehmen, ohne etwas verändern zu wollen

Gerade hier greift Yoga ein. Denn Yoga bedeutet loslassen. Körperlich wie mental. Sich treiben lassen können auf dem Ozean der eigenen Gedanken, ohne etwas tun zu müssen. Den eigenen Körper zu akzeptieren, wahrzunehmen, ohne etwas verändern zu wollen.

Es mag zwar schön und gut sein, den Körper auf ein Idealmaß zu trimmen – bis man fit ist wie ein Turnschuh. Doch was passiert dabei mit dem Geist? Mit der Psyche?

Das Schöne an Yoga ist gerade, dass es nicht darum geht eine Leistung abzuliefern. Dennoch sind es auch hier die Sozialen Medien, die in diese Oase der Entspannung den Konkurrenzgedanken hineintragen, ein gegenseitiges Wetteifern, wer gerade den exotischsten Retreat postet oder die schwierigsten Armbalances beherrscht. Kopfstände am malerischen Pool werden zur Inszenierung eines vermeintlich idealen Lebens. Fitnesstracker überwachen den Puls und Leistungsfortschritte werden stolz dokumentiert. So verfremdet Social Media eine jahrtausendealte Tradition in einen modernen Leistungswettbewerb, der eigentlich das Gegenteil der Philosophie des Yoga ist.

Als frisch gebackene Yogalehrerin höre ich immer wieder, dass man bereits flexibel und kraftvoll für Yoga sein muss, um überhaupt damit beginnen zu können. Yoga umfasst nicht nur Gesundheit und Meditationspraxis für den Geist, es gehört auch das Verhalten sich selbst und anderen gegenüber dazu. Interessanterweise bilden konkrete Körperübungen nur einen geringen Teil der Yogaphilosophie. Der Großteil beschäftigt sich mit menschlichem Verhalten und der sozialen Umgebung. Keine Gewalt, kein Lügen, das Bündeln kreativer Energie und das Vermeiden von Anhäufungen überflüssiger Konsumgüter sind nur einige Aspekte davon. Yoga ist also eine ganzheitliche Lebenseinstellung, die das soziale Miteinander fördern will. Ein allumfassendes Mindset, das nahtlos in den Alltag integriert werden kann.

Umfragen und Statistiken zeigen, dass es beim Yoga stark um das Gemeinschaftsgefühl geht. Mehr als 90% derjenigen, die regelmäßig Yoga praktizieren, bleiben einem bestimmten Studio oder einer/m bestimmten YogalehrerIn treu. Eine unterstützende Community ist ebenso bedeutend wie die Fokussierung auf die eigene Gesundheit. Infolge der Pandemie hatte es in den letzten Jahren eine deutliche Verschiebung hin zu Online-Kursen und Video-on-Demand-Plattformen gegeben, wobei YouTube hier an der Spitze steht.

Aktuell findet allerdings eine Trendwende statt, da Retreats und Outdoor-Yoga so gefragt sind wie nie zuvor. Es wird deutlich, dass das Interesse an Umweltschutz und Naturverbundenheit stark damit korrelieren, was sich in der Beliebtheit von Eco-Friendly-Retreats bemerkbar macht. Man sieht also, dass Menschen auf der Suche nach menschlichem Kontakt und einer tieferen Verbindung zur Natur sind, und dass sie eine soziale Yoga-Experience dem zeitsparenden, gratis Online-Angebot vorziehen. Oftmals wird bei diesen Rückzugserlebnissen auch auf Digital Detox gesetzt – also einfach mal das Smartphone ausschalten. Was ich auch abseits von Yogaretreats empfehlen kann.

Yoga ist also weit mehr als nur Fitness. Es verkörpert Achtsamkeit. Es ist ein Mindset. Es schafft Gemeinschaft. Deshalb ist es gerade am Beginn einer Yogaeinheit wichtig, im gegenwärtigen Moment anzukommen – im Hier und Jetzt, wo jede Yogareise beginnt.

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