Der weise Investor

Charlie Munger stand stets im Schatten seines Freundes Warren Buffett. Er ist der eigentliche Erfinder des Value Investings, das darauf setzt, unterbewertete Unternehmen mit gesundem Geschäftsmodell zu kaufen und dann entspannt die Kursentwicklung abzuwarten. Jetzt ist er im Alter von 99 Jahren gestorben.

Das erste Mal trafen sich Warren Buffett und Charlie Munger 1959, seit 1978 waren sie ein Team. Beide führten Berkshire Hathaway, eine Beteiligungsgesellschaft, die eine atemberaubende Kursentwicklung über Jahrzehnte hinlegte. Die Zusammenarbeit der beiden so unterschiedlichen Männer hat unser Verständnis über Vermögensbildung revolutioniert. Im Vordergrund stand zumeist der Zahlenmensch Warren Buffett, mit 120 Milliarden Dollar Privatvermögen einer der reichsten Männer der Welt. Charlie Munger, der jetzt nur wenige Wochen vor seinem 100. Geburtstag in Kalifornien gestorben ist, stand stets in dessen Schatten. Beim Vermögen konnte Munger auch nie an Buffett heranreichen, er dürfte „nur“ ein einfacher Milliardär gewesen sein. Aber als Vordenker der Vermögensbildung konnte Munger Buffett das Wasser reichen, weshalb sich ein Blick auf seine Investmentphilosophie lohnt. Munger ging übrigens der narzisstische Antrieb, der heute vielen amerikanischen Internetmilliardären wie Elon Musk oder Bill Gates zu eigen ist, die Welt zu retten oder die Menschheit zu beseelen, völlig ab.

Der weise Investor hat vor allem Geduld und Zeit

Buffett gilt als Begründer der sogenannten Fundamentalanalyse. Bei dieser Form des „Value Investings“ geht es darum, Unternehmen aufgrund bestimmter Kennzahlen zu bewerten und den inneren Wert der Firmen herauszufinden. Spiegelt sich dieser Börsenwert nicht im aktuellen Börsenkurs wider, dann hat man einen interessanten Übernahmekandidaten gefunden. Warren Buffett war früh auf diesen Investmentansatz konzentriert. Doch hier kommt Charlie Munger ins Spiel. Als Buffett Anfang der 70er Jahre die amerikanische Pralinenkette See‘s Candies kaufen wollte, war deren Wert an der Börse etwa 20 Millionen Dollar zu teuer. Munger überzeugte Buffett, dass es manchmal sinnvoll sein könne, ein gutes Unternehmen doch zu einem etwas höheren Preis zu kaufen als ein schlechtes Unternehmen zu einem verlockend billigen Preis. Munger sollte Recht behalten. See’s warf über die Jahre mehr als zwei Milliarden Dollar an Gewinn ab und war somit eine sehr erfolgreiche Investition. Fortan besprach sich Buffett vor jeder größeren Investition mit seinem Partner, der nicht nur auf die nackten Zahlen schaute, sondern auch das Umfeld genau analysierte. Seine umfassende Kenntnis der Märkte und sein Gespür für die Entscheidungen von Menschen machten ihn für Buffett zu einem unverzichtbaren Berater.

Die entscheidenden Erfolgsfaktoren für Charlie Munger waren Geduld, Ruhe und Disziplin. Aktionismus und schnelle Renditemaximierung hatten in seinem Denken keinen Platz.

Für Munger war bei einer Investition nicht der Preis allein ausschlaggebend. „Hochwertige Anlagen können riskant sein und günstige sicher sein“, so Munger. Das erklärt zum Teil auch, warum Berkshire Hathaway erst relativ spät in großem Stil in Technologieaktien Apple einstieg, als der Kurs vielen schon zu hoch erschien. Doch der gigantische Erfolg des iPhones beflügelte den Kurs immer weiter – inzwischen gehört Apple zu den erfolgreichsten Investitionen von Berkshire Hathaway.

Der umfassend gebildete Munger war auch ein Menschenfänger, der die Anleger bei den legendären jährlichen Hauptversammlungen von Berkshire Hathaway in Omaha in Nebraska oft stärker faszinieren konnte als Buffett selbst. Munger war kein allzu großer Freund der Diversifikation, die vielen Vermögensverwaltern so wichtig ist („nicht alle Eier in einem Korb“). Ihm ging es um Fokussierung. Die entscheidenden Erfolgsfaktoren für ihn beim Investieren waren Geduld, Ruhe und Disziplin. Aktionismus und schnelle Renditemaximierung hatten in seinem Denken keinen Platz. Insofern war ihm die Idee des Tachinierens nicht fremd. Wenn die Kaufentscheidung einmal gefallen war, legte er einen langen Anlagefokus an den Tag und wartete entspannt die weitere Entwicklung ab.

Der Faktor Zeit war für ihn oft ein entscheidendes Kriterium. „Ich bin im Leben nicht weit gekommen, weil ich so intelligent bin. Ich bin weit gekommen, weil ich eine lange Aufmerksamkeitsspanne besitze“, so Munger. Hier sollte vielleicht die Instagram-Generation besonders gut zuhören. Wer die nächsten fünf Jahre im Auge hat, ist demnach gegenüber jenen im Vorteil, die nur an die nächsten fünf Monate denken. Viele Anleger lassen sich von trivialen und unwichtigen Nachrichten ablenken. „Sie bekommen die tatsächlich wichtigen Dinge gar nicht mit, weil diese langsam vor sich gehen.“ Mit Fondsmanagern ging Munger ähnlich wie Buffett streng ins Gericht. Es gäbe nur wenige Branchen, in denen Menschen derart viel bezahlt wird, obwohl sie immer und immer wieder falsch liegen. „Geduld“, so die Conclusio von Munger, „ist die Bereitschaft, eine lange Zeitspanne zu warten und trotzdem offen zu sein für eine sich ändernde Welt“.

„Ich bin im Leben nicht weit gekommen, weil ich so intelligent bin. Ich bin weit gekommen, weil ich eine lange Aufmerksamkeitsspanne besitze“

Der Erfolg der Berkshire Hathaway-Aktie ist beeindruckend. Im langjährigen Schnitt steigt die Aktie, die noch nie einen Cent Dividende bezahlt hat, die nie gesplittet wurde und mit einem Kurs von aktuell 500.500 Euro die teuerste Aktie der Welt ist, im Jahr um gut 8 Prozent und schlägt damit den Vergleichsindex, den amerikanischen S&P 500.  Zu den Beteiligungen von Berkshire Hathaway gehören neben Apple auch große Anteile von Coca-Cola, American Express, der Bank of America, Chevron und amerikanische Eisenbahnaktien. Auch der Autoversicherer Geico, der zuletzt deutlich höhere Prämien am Markt durchsetzen konnte, ist eine von Berkshire Hathaway Cash-Cows. Das Unternehmen, das im letzten Quartal fast 36 Milliarden Dollar verdiente, sitzt auf einer prall gefüllten Kriegskasse von knapp 150 Milliarden Dollar, die jederzeit investiert werden kann oder ansonsten ansehnliche Zinseinnahmen generiert. Auch an den letzten großen Entscheidungen von Berkshire Hathaway war Munger trotz seines schon hohen Alters beteiligt. Er galt als treibende Kraft beim Einstieg in den chinesischen Elektrofahrzeug- und Batteriespezialisten BYD.

Wer die A-Aktie an der New Yorker Börse kaufen will, muß dafür mehr als 500.000 € für eine Aktie bezahlen. Günstiger ist der Einstieg in die B-Aktie, die auch in Deutschland gehandelt wird (Wertpapierkennnummer A0YJQ2). Dort kostet eine Aktie „nur“ gut 300 Euro. Da Buffett auch schon 93 Jahre alt ist und, wie er selbst kürzlich sagte, in der Nachspielzeit spielt, stellt sich die Frage, wie es weitergeht. Die Grundlagen des Value Investings sind in der Satzung von Berkshire Hathaway verankert. Die beiden wichtigsten Führungskräfte von Berkshire sind Greg Abel und Ajit Jain. Beide arbeiten seit vielen Jahren mit Buffett zusammen – schwer vorstellbar, dass sie plötzlich ihr Erfolgsgeheimnis über den Haufen werfen.

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