Robert Skidelsky

Wir konsumieren so viel wie nie zuvor. Aber wie viel ist genug?, fragt der Philosoph Robert Skidelsky. Mehr Wachstum ist für ein gutes Leben nicht notwendig. Unsere wahren Bedürfnisse erreichen wir nicht durch Unersättlichkeit.

Das Wirtschaftswachstum ist längst zum Selbstzweck geworden und hindert uns mehr an einem guten Leben als es uns zu ermöglichen. Was und wie viel konsumiert wird, scheint egal, Hauptsache das Land fällt nicht zurück im globalen Wachstumsrennen. Der aktuelle Turbokapitalismus ist maßlos und blind, ein gutes Leben ist nicht sein Ziel, nur noch mehr Geld und Konsum, konstatiert Skidelsky in seinem Buch „Wie viel ist genug?“, das er zusammen mit seinem Sohn Edward schrieb. Wie konnte es soweit kommen? Skidesky ist ein Kenner des berühmten Ökonomen John Meynard Keynes. Der hatte vor knapp 100 Jahren in einem Essay „über die wirtschaftlichen Möglichkeiten für unsere Enkelkinder“ eine leuchtende Zukunft vorhergesagt. Die Menschheit werde in 100 Jahren, also heute, imstande sein, ihre materiellen Bedürfnisse mit einem Bruchteil des gegenwärtigen Arbeitsaufwands zu befriedigen, höchstens drei Stunden täglich müssten wir arbeiten. In dieser Zukunft würden wir „zu einem unmittelbaren Genuss der Dinge fähig sein.“ Von allen drückenden wirtschaftlichen Sorgen befreit, können wir endlich ein Leben in Muße führen.

Darin hat sich Keynes leider getäuscht. Der durchschnittliche Vollzeitbeschäftigte in Deutschland arbeitet 41 Stunden die Woche und das unter einem erheblich stärkeren Arbeitsdruck als früher. Von Muße sind wir meilenweit entfernt, von täglich nur drei Stunden Arbeit kann keine Rede sein. Zwar gab es immense Produktivitätsfortschritte, die sich wohl auch Keynes nicht vorstellen konnte, doch deren Ertrag landet zu einem erheblichen Teil in den Taschen der Reichen. Die 42 reichsten Milliardäre der Welt haben so viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Menschheit zusammen. Andererseits haben sich auch unsere materiellen Bedürfnisse stark erweitert: Wir haben beispielsweise mehr Wohnraum und Klamotten als je zuvor. Skidelsky fragt aber: Wie viel ist genug? Epikur wußte schon: Wem genug zu wenig ist, dem ist nichts genug.


Skidelskys Einwand gegen endloses Wachstum ist, dass „es unsinnig ist.“ Im Westen existieren die materiellen Bedingungen für ein gutes Leben bereits, mehr Wachstum ist für ein gutes Leben nicht notwendig. Es geht um Ziele und wie wir unsere wahren Bedürfnisse erkennen und erreichen. Unersättlichkeit ist ein Ziel, das die wenigsten verfolgen wollen, aber das Wachstumsgebot drängt sie in diese Richtung. Wenn wir in Deutschland heute doppelt so viele Klamotten kaufen und diese nur halb so lang tragen wie noch vor zehn Jahren, müssen wir uns doch fragen, warum wir diesen Marketing-Trends folgen und wer davon außer die Milliardäre von Zara & Co profitiert. Wären wir unglücklicher, wenn wir nur halb so viele Klamotten kaufen und diese doppelt so lange tragen – wohl kaum, denn die Zufriedenheit mit dem Konsum hat ja keinen Deut durch die eingetretene Verdoppelung des Mode-Konsums zugenommen.

Skidelsky erweist sich als ein kluger Anhänger von Aristoteles und zeigt, was uns durch die Abkehr von seinem Denken des Maßhaltens und der inneren Balance verloren gegangen ist. Konsumgüter haben ein begrenztes Ziel, nämlich das gute Leben. Ihnen über diesen Punkt hinaus nachzujagen, ist sinnlos. So benötigt selbst eine modebewußte Dame nur eine begrenzte Zahl an Schuhen, wer darüber weit hinausgeht wie Imelda Marcos mit ihren 2700 Paar Schuhen, ist schlicht verrückt. Schon im durchschnittlichen Kleiderschrank hängen heute 20 % Klamotten, die nie oder nur einmal getragen wurden. Das gute Leben hängt grundsätzlich an Bedürfnissen, die begrenzt sind. Die (ökonomische) Idee von den grenzenlosen Bedürfnissen des Menschen ist grundfalsch, es gibt nur die Gier und sie ist eine Form der Besessenheit von etwas. Die meisten Menschen sind frei davon, sie haben begrenzte Bedürfnisse und daher auch kein Bedürfnis nach unendlich viel Geld. Beispielsweise wollen zwei Drittel aller Arbeitsnehmer gar keine Karriere machen. Auch die Wunscharbeitszeit ist mit 32,8 Stunden auf einem Rekordtief, gut acht Stunden unterhalb der durchschnittlichen Vollarbeitszeit. Wären die Menschen gierig, müssten sie ja alles tun, um möglichst viel Geld zu verdienen, um sich all die angeblich grenzenlosen Wünsche erfüllen zu können. Sie begrenzen dies Bedürfnisse aber und sind mit ihnen zufrieden, schon gar nicht wollen sie sich für „noch mehr“ abschuften.

Es ist also, mit Aristoteles und Skidelsky, klug, sein Begehren auf seine Bedürfnisse zu begrenzen. Die Bedürfnisse auf das Unersättliche auszudehnen ist unsinnig. Weil die Menschen das überwiegend auch so sehen, laufen die meisten in den Tretmühlen des Konsums ziemlich lustlos mit – der Statuswettbewerb und der Ich-Kult erfordern dieses Verhalten. Lustlos sind wir, weil uns dieser Statuswettbewerb viel abverlangt und uns vom guten Leben immer mehr entfernt. Skidelsky zeigt, dass Aristoteles über die Habgier und die Extravaganz einer Kim Kardashian oder eines Bernie Madoff nicht überrascht gewesen wäre, wohl aber über „die kollektive, politisch organisierte Unersättlichkeit, die wir heute Wachstum nennen.“

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